Der Stoffhaushalt der Anthroposphäre

Zeichnung_Stoffhaushalt
 
Der Forschungsschwerpunkt der Ressourcen Management Agentur, Initiative zur Erforschung einer umweltverträglichen nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung.
 
Die „Anthroposphäre“ ist Teil der Biosphäre der Erde, eine andere häufig verwendete Bezeichnung ist „Technosphäre“. Die Anthroposphäre bezeichnet den Lebensraum des Menschen, in dem die von ihm gebauten und betriebenen biologischen und technischen Prozesse ablaufen (z.B. landwirtschaftliche oder gewerbliche Betriebe, Kraftwerke, Häuser, Transportnetze, Bergbau usw.) und in dem wir Menschen unsere Aktivitäten ausführen (ernähren, wohnen, arbeiten, transportieren und kommunizieren). Die Anthroposphäre kann auch als komplexes System von Energie-, Güter-, Stoff- und Informationsflüssen verstanden werden.
 
Das Ziel der Erforschung des Stoffhaushaltes der Anthroposphäre ist einerseits das Verstehen, wie die Anthroposphäre „funktioniert“. Welche Prozesse, Güter- und Stoffflüsse innerhalb dieses Systems für die Gestaltung einer nachhaltige Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind und andererseits, die Steuerung des Systems um eine nachhaltige und zukunftsfähige Bewirtschaftung der Anthroposphäre zu gewährleisten. Zur Zielerreichung ist die Entwicklung neuer Methoden zur Erfassung, Bewertung, Steuerung und zum Monitoring erforderlich. Die Ressourcen Management Agentur (RMA) verfolgt in diesem Sinne das Ziel, den anthropogenen Stoffhaushalt zu erforschen und damit Initiativen für eine umweltverträgliche und nachhaltige Gestaltung der eingesetzten Ressourcen zu fördern und zu setzen. Eine zentrale Methode zur Erfassung der Anthroposphäre ist die Stoffflussanalyse, an dessen Entwicklung bzw. Weiterentwicklung die Vorstände der RMA beteiligt waren und sind.
 
Das wissenschaftliche Vorbild zur Erforschung des anthropogenen Stoffhaushaltes (auch „industrial metabolism“ bezeichnet) wurde im Bereich der Medizin entwickelt. Im 17. Jahrhundert erforschte der venezianische Arzt Santorio Santorio (1561-1636) den Stoffwechsel des Menschen. Im Zuge seiner Experimente entdeckte er, dass der messbare Input (Nahrung, Getränke) bei gleich bleibendem Körpergewicht größer als der messbare Output (Kot, Urin, Schweiß) war. Er schloss daraus, dass es aufgrund des Gesetzes der Massenerhaltung unsichtbare Ausscheidungsvorgänge geben musste, die nur durch das Erstellen der Bilanz sichtbar gemacht werden konnten. Ein gesunder menschlicher Organismus ist von einem ausgewogenen Stoffwechsel (Metabolismus) abhängig, werden diesem Schad- oder Giftstoffe zugeführt so wird dieser geschädigt.
 
Sinngemäß kann die Anthroposphäre als Organismus verstanden werden, es werden Stoffe aus der Umwelt entnommen und diese wieder in Form von Emissionen bzw. Abfällen an die Umwelt wieder abgegeben. Neben den sichtbaren Austauschprozessen sind es die diffusen Verluste, die nicht einfach messbar und vor allem nicht sichtbar sind und die sich langfristig in der Umwelt verteilen. Beispiele für diffuse Emissionen sind die Korrosion von Metalloberflächen, der Reifenabrieb bei Autos, Ausgasungen aus diversen Produkten (wie z.B. Lacken, Anstrichen, FCKW-hältigen Dämmstoffen oder mit bromierten Flammschutzmitteln geschützten Materialien). Güter- und Stoffbilanzen von Regionen machen diese Verluste sichtbar, Umweltprobleme können erkannt und ihren Quellen zugeordnet werden. Es sind jene Flüsse identifizierbar, mit deren Steuerung im Ressourcenhaushalt (Schadstoff- aber auch im Rohstoffhaushalt) die größte Wirkung erzielbar ist. Lagerbildungen und das damit verbundene Gefährdungs- und Ressourcenpotential für Mensch und Umwelt werden sichtbar gemacht, mittels entsprechender Szenarien ist es möglich, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Mit diesem methodischen Ansatz wird es somit möglich, analog zum menschlichen Organismus die Umwelt „gesund“ und in einem natürlichen Gleichgewicht zu halten.
In den letzten Jahren wurden viele Methoden entwickelt, um den Stoffhaushalt der Anthroposphäre zu erfassen und zu bewerten. Eine dieser Methoden ist die Stoffflussanalyse nach Baccini und Brunner (Baccini, P.; Brunner, P. H. (1991) Metabolism of the Anthroposphere. Hrsg. von Springer-Verlag. Berlin, New York). Mit diesem Instrument wird es möglich, die Austauschprozesse mit den umgebenden Ökosystemen (Umwelt) sowie die Güter- u. Stoffflüsse und Lagerbildungen innerhalb der Anthroposphäre zu beschreiben. Aufgrund dieser Beschreibung können Steuerungsmaßnahmen an den Schnittstellen Umwelt - Anthroposphäre, Anthroposphäre - Umwelt sowie innerhalb der Anthroposphäre gesetzt werden. Damit wird eine neue Betrachtungsweise im Umweltschutz erschlossen, Maßnahmen können im Sinne der Früherkennung bereits am Anfang des Systems so gesetzt werden, dass vorhersehbare beeinträchtigende Auswirkungen auf die Umwelt und damit oft verbundene Lagerbildungen erst gar nicht geschehen können. Damit können die am Ende des Systems ansetzenden End-of-pipe Technologien (Filtertechnologien) entlastet werden. Diese Betrachtungsweise versetzt den Menschen auch in die Lage, Ressourcenverknappungen und die Umwelt schädigende menschliche Aktivitäten frühzeitig zu erkennen, was auch eine bedeutende Herausforderung für Politik und Wissenschaft darstellt. Aus dem mit Hilfe der Stoffflussanalyse abgebildeten Systembild können effiziente Steuerungsmaßnahmen zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit und zur effizienteren Ressourcennutzung abgeleitet werden.
 
Auf politischer Ebene kann ab den 90er Jahren eine verstärkte Berücksichtigung stofflicher Aspekte beobachtet werden, wie der 2. Bericht "Die Industriegesellschaft gestalten - Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen" der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages zeigt. In diesem Bericht wird erstmals auf politischer Ebene vorgeschlagen, eine ganzheitliche und systematische Betrachtungsweise für die Probleme der Industriegesellschaft zu entwickeln und damit einen Schritt in Richtung einer an ökologischen Kriterien orientierten Volkswirtschaft zu gehen. Das Leitbild ist eine nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung ("Sustainable Development"), wofür in diesem Bericht das Instrumentarium zur Erreichung dieses Ziels diskutiert wird. Die Enquete-Kommission kommt zum Schluss, dass Stoff- und Energiemanagement dabei eine entscheidende Rolle spielen und empfiehlt, dass auf diesem Sektor detaillierte Lösungsvorschläge ausgearbeitet werden sollen. Es besteht die Notwendigkeit einer integrierten Stoffpolitik, welche über sämtliche Sektoren gezielt umweltverträgliche Stoffströme anstrebt. Daraus ist auch ersichtlich, dass es sich hier um ein interdisziplinäres Feld handelt, welches die Bereiche Ökologie, Ökonomie, soziale Aspekte, Gesundheit usw. mit einbeziehen muss. Dieses Beispiel zeigt, dass die Erforschung des Stoffhaushaltes noch eine sehr junge Forschungsdisziplin mit einem entsprechend hohen Forschungsbedarf ist. Die RMA leistet mit ihren Forschungsaktivitäten dafür einen entsprechenden Beitrag.
 
Neben der Methode der Stoffflussanalyse wurden eine Vielzahl anderer Erfassungs- und Bewertungsmethoden entwickelt, Beispiele sind: Live Cycle Assessment, SPI, MIPS, Ökobilanz. Die Entwicklung dieser Methoden passierte in den letzten 15 – 20 Jahren und ist teilweise noch nicht abgeschlossen. Die Methoden weisen in vielen Punkten Unterschiede aber auch teilweise einen zusätzlichen Forschungs- und Entwicklungsbedarf auf. Die RMA leistet mit ihrer Forschungstätigkeit einen Beitrag zur Anwendung dieser Methoden auf nationaler und teilweise auch auf internationaler Ebene.
 
Vor allem für die Erstellung regionaler Stoffhaushaltsstudien ist die Verfügbarkeit und Qualität der Daten unzureichend. Vorhandene Statistiken müssen daher zukünftig ergänzt und angepasst werden, und zwar in der Form, dass regionale Beiträge herauslesbar werden. Generell wäre ein schlüssiger Datenaufbau von der Produktebene und der regionalen Ebene über die nationale bis hin zur supranationalen Ebene wünschenswert. Die RMA hilft mit ihren Projekten derartige Datenlücken zu schließen bzw. zeigt einen entsprechenden Handlungsbedarf zur Verbesserung der Situation auf.
 
Strategien zur Erreichung nachhaltiger Regionen: Umweltschutz kann nicht auf eingegrenzte Bereiche beschränkt, sondern er muss umfassend und differenziert erfolgen. Die regionale  Ebene ist für das Setzen von Maßnahmen in stofflicher Hinsicht geeignet. Dabei soll langfristig angestrebt werden, dass die anthropogen induzierten Stoffflüsse die geogenen Stoffflüsse nicht wesentlich verändern. Die Implementierung einer Stoffbuchhaltung auf betrieblicher, regionaler und nationaler Ebene ist dafür als Kontrollinstrument, welches auch zeitliche Veränderungen anzeigt, geeignet. Die Art der Raumnutzung sowie der Flächenbedarf einer Region zur Deckung ihres Stoff- und Energiebedarfs muss ebenfalls Berücksichtigung finden. Eine Region soll mit ihrer eigenen Fläche das Auslangen finden, für jeden Import muss Fläche für den Export zur Verfügung gestellt werden. Vor allem für urbane Bereiche besteht aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Konsumemissionen Handlungsbedarf. Konsumemissionen resultieren aus dem Gebrauch (z.B. Reifenabrieb bei Autos) oder der Nutzung (z.B. Korrosion von metallischen Oberflächen und in weiterer Folge unkontrollierte Verteilung in Wasser und Boden durch Abschwemmung oder durch Winderosion) verschiedener Produkte. Vielfach sind heute die unkontrollierbaren, flächenhaft auftretenden Konsumemissionen mengenmäßig bedeutender als die punktuellen, mittels Filtertechnologien kontrollierbaren, Produktionsemissionen. Für sich alleine betrachtet, stellen die einzelnen Konsumemissionen z.B. von einem einzelnen Gebäude, kein Problem dar. Ihre Wirkung wird erst ersichtlich wenn diese Emissionen in Summe, z.B. der gesamte Gebäudebestand im regionalen oder gar globalen Zusammenhang und über lange Zeiträume betrachtet werden Um die Belastung der Böden durch beispielsweise Schwermetalle in Grenzen zu halten ist es notwendig, Korrekturmaßnahmen in Form der Etablierung eines entsprechenden ökologischen Designs zu setzen. Die RMA liefert mit ihren Forschungsergebnissen Handlungsempfehlungen zur ökologischen Gestaltung von Produkten über den gesamten Lebenszyklus von Produkten. Damit wird die Ressourceneffizienz durch optimierte Kreislaufführung („Design for Recycling“) und energetische Nutzungskonzepte bei stofflich und energetisch verwendeten Produkten (z.B. Gestaltung der Nutzungskaskade von Holzprodukten von der stofflichen Verwertung bis zur finalen thermischen Verwertung – „Design for Energy“) erhöht.
 
Die über lange Zeiträume in die Siedlungsgebiete verlagerten Güter- und Stoffmengen müssen, im Sinne einer nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung, wieder genutzt oder umweltverträglich entsorgt werden. Derzeit befinden sich beispielsweise rund 90 % des städtischen Metalllagers in der gebauten Stadt selbst und lediglich etwa 10 % in ihren Deponien. Der gesamte Stoffwechsel einer durchschnittlichen österreichischen Region ist geprägt von einem hohen Materialdurchfluss und großen Materiallagern. Durch die Stadt fließen beispielsweise täglich rund 700.000 Tonnen an Gütern mit den darin befindlichen Stoffen. In der Stadt sind bereits 500 Millionen Tonnen akkumuliert und es kommen täglich 35.000 Tonnen hinzu. Die Bewirtschaftung dieser Menge an umgesetzten Gütern und Stoffen erfordert einen gesamtheitlichen Ansatz. Für eine zukunftsorientierte Entwicklung einer Region ist ein Management ihrer Ressourcen notwendig. Der Begriff „Ressource“ umfasst einerseits die natürlichen Ressourcen „Boden, Wasser und Luft“ und andererseits die durch die anthropogenen Aktivitäten induzierten Güter- und Stoffflüsse und die Lager. Darunter fallen beispielsweise Baumaterialien, Konsumgüter und Abfälle.
 
Ein Ressourcenmanagement bedeutet den gesamten Stoffhaushalt einer Region zu analysieren, anhand zukunftsfähiger Kriterien und Indikatoren zu evaluieren und mittels effizienter Maßnahmen zu steuern. Das „Ressourcenmanagement“ ist die Summe aus Analyse, Bewertung, Steuerung und Monitoring der sensiblen Güter- und Stoffflüsse einer Region. Für die Stoffflussanalyse als Instrument eines Ressourcenmanagements ergeben sich folgende Anwendungsgebiete für Industrie und Behörde: 
  • Stoffflussanalyse als Instrument zur Früherkennung
Mit einem Instrument zur Früherkennung kann dem Vorsorgeprinzip entsprochen werden. Es werden Umweltprobleme frühzeitig erkannt und Grenzwertüberschreitungen können abgewendet werden.
  • Stoffflussanalyse als Instrument zur Prioritätensetzung
Mit einem Instrument zur Prioritätensetzung kann dem Effizienzprinzip entsprochen werden. Es können die Auswirkungen von unterschiedlichen Szenarien für den Stoffhaushalt der Stadt abgeschätzt werden. Darauf aufbauend kann die optimale Strategie ausgewählt und umgesetzt werden.
  • Stoffflussanalyse als Planungsinstrument
Mit diesem Planungsinstrument kann sowohl dem Vorsorge- als auch dem Effizienzprinzip entsprochen werden. Wirtschaft und Behörde sollen zukünftig in ihren Planungsaktivitäten die Strategie eines haushälterischen Umganges mit ihren Ressourcen als eine Rahmenbedingung einbeziehen.
  •  Stoffflussanalyse als Monitoringinstrument und als Grundlage zur Indikatorenauswahl
Mit einem Monitoringinstrument kann dem Nachsorgeprinzip entsprochen werden. In der Stadtverwaltung werden kontinuierlich umwelt- und ressourcenrelevante Maßnahmen getroffen, deren Wirkung mittels geeigneter Indikatoren zu überprüfen ist. Mit einem Monitoringinstrument besteht die Möglichkeit zu überprüfen, ob sich der Stoffhaushalt der Stadt in die gewünschte Richtung bewegt oder eben nicht.
  • Stoffflussanalyse als Grundlage für ein zukünftiges Umwelt- oder Ressourcenzertifikat
Mit einem Zertifikat kann dem Anspruch der Öffentlichkeit nach Information entsprochen werden und damit eine Imageverbesserung für die Aktivitäten der Stadt erzielt werden. In Anlehnung an die „Lokale Agenda 21“ sollte sich die Stadt das Ziel setzen, ihren Stoffhaushalt kontinuierlich zu verbessern. Entsprechend dieser Zielsetzung sind die geeigneten Indikatoren anzuwenden.
 
Ressourcenmanagement schließt den haushälterischen Umgang mit Gütern, Stoffen und die von den menschlichen Aktivitäten beeinflussten, natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft mit ein. Dadurch ergeben sich mannigfaltige Verknüpfungsmöglichkeiten zu anderen Arbeitsbereichen. Auf Grund der Vielzahl an derzeit verwendeten Gütern und Stoffen ist es kaum möglich, in allen Bereichen gleichzeitig ein umfassendes Ressourcenmanagement zu implementieren. Es ist daher notwendig, Schwerpunkte zu setzen und schrittweise an die Umsetzung heranzugehen.
 
Folgende strategischen Bereiche für ein Ressourcenmanagement bieten sich an:
  •    Wassermanagement
  •    Baumaterialienmanagement
  •    Produktions- und Konsumgütermanagement
  •    Energieträgermanagement
  •    Nährstoffmanagement
  •    Schadstoffmanagement
  •    Wertstoffmanagement